Demokratischer Neubeginn vor 75 Jahren:

 

Die Gemeinderatswahl 1946 in der Gemeinde Neufahrn

 

Am Sonntag, 29. April 1945, waren die amerikanischen Truppen kampflos in Neufahrn, Mintraching, Fürholzen, Massenhausen und Giggenhausen einmarschiert. Damit war die NS-Herrschaft und der 2. Weltkrieg in der heutigen Gemeinde Neufahrn zu Ende. Der Einmarsch der Amerikaner brachte den 500 Häftlingen im Außenlager des KZ Dachau am südlichen Ortsrand von Neufahrn und den mehreren Hundert Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich in Neufahrn und den umliegenden Dörfern die Freiheit.

 

Am 13. Mai 1945 ernannten die amerikanischen Besatzungstruppen den Kaufmann Martin Bichlmeier zum Bürgermeister von Neufahrn. Bichl­meier war bis 1933 Gemeindeschreiber gewesen, die neuen NS-Machtha­ber in Neufahrn hatten ihn im Mai 1933 zum „freiwilligen“ Rückzug von diesem Amt gezwungen.

 

Martin Bichlmeier hatte nun höchst undankbare Aufgaben: Die befreiten KZ-Häftlinge und Kriegsgefangenen mussten mit Lebensmittel versorgt werden, die KZ-Häftlinge waren einzukleiden und die Rückführung der Kriegsgefangenen und Häftlinge musste organisiert werden. Soweit es möglich war, galt es Plünderungen zu verhindern. Außerdem waren die örtlichen NS-Funktionäre ihrer Posten (u.a. als Bahnhofsvorsteher und Lehrer) zu entheben. Im Juni 1945 nahmen die Amerikaner den letzten NS-Bürgermeister und Ortsgruppenleiter Georg Herpich und den NS-Gauamtsleiter Eugen Häuser in Internierungshaft. Außerdem mussten Flüchtlinge untergebracht werden. Der eklatante Mangel an Brennmaterial und Lebensmittel vor allem im Winter 1945/46 erschwerte seine Arbeit zu­sätzlich.

 

Nachdem die Amerikaner bereits im Juni 1945 „Radio München als Sender der Militärregierung“ in Betrieb genommen hatten, erst den früheren BVP-Abgeordneten Fritz Schäffer und nach dessen Absetzung im September 1945 den früheren SPD-Parlamentarier Wilhelm Hoegner zu bayerischen Ministerpräsidenten ernannt hatten, schrieben Sie für den Januar 1946 Gemeinderatswahlen aus.

 

Das Besondere daran: Frühere Mitglieder der NSDAP oder ihrer Unterglie­derungen durften nicht kandidieren. So ist die Zusammensetzung des ers­ten frei gewählten Gemeinderats im Januar 1946 auch ein Spiegelbild des anti-nazistischen Neufahrn. Bichlmeier hatte wohl genug von der schwe­ren Aufgabe. Obwohl er der im Herbst 1945 gegründeten CSU beigetreten war, kandidierte er weder für das Bürgermeisteramt noch für den Gemein­derat. Allerdings war er Mitglied der Spruchkammer für die Entnazifizie­rung und Kreistagsmitglied.

 

Als Neufahrner Bürgermeister ohne Gegenkandidaten gewählt wurde der Landwirt Georg Böswirth. Er war Mitglied der Kirchenverwaltung, war im Mai 1933 aus dem Gemeinderat entfernt worden und hatte sich zwölf Jahre lang von der NSDAP im Ort ferngehalten. Zu seinem Stellvertreter und 2. Bürgermeister wählte der neue Gemeinderat den Schmid Josef Zauser. Auch Zauser war von den örtlichen Nationalsozialisten unter An­drohung von Haft 1933 aus dem Gemeinderat gedrängt worden. Zu weite­ren Mitgliedern des Gemeinderats wählten die Bürger die Landwirte Thomas Kieslinger, Johann Lengl, (der einer der vier beherzten Män­ner war, die am 29.4.1945 die weiße Fahne am Kirchturm aufgehängt hat­ten, Georg Huber, Josef Pleßl (der Kirchenpfleger, der den Elendszug von 300 KZ-Häftlingen kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner von Neu­fahrn nach Goldach geführt hatte), Bartholomäus Felsner, Josef Stanglmeier aus Mintraching und Matthias Betzinger. Es ist zu vermuten, dass es bei dieser Wahl nur eine einzige Liste gegeben hat, auf der die Bevölkerung die verschiedenen Personen zur  Wahl ankreuzen konnten.

 

Die Hauptaufgabe des neuen Gemeinderats war die Bewältigung der Woh­nungsnot und des Lebensmittelmangels. Bürgermeister Böswirth hatte zu­dem die undankbare Verpflichtung, für jedes der Neufahrner NSDAP-Mit­glieder ein Gutachten für die Spruchkammer zur Entnazifizierung anzufer­tigen. Er tat dies in den allermeisten Fällen im Geist der Versöhnung, auch die bei­den ranghöchsten NS-Funktionäre in der Gemeinde bekamen von ihm wohlwollende Beurteilungen. Außerdem bemühte sich der Gemeinde­rat das Dorfleben wieder in Gang zu bringen. Der Maibaum wurde wieder auf­gestellt, der Meistertrunk durchgeführt, der in der NS-Zeit verbotene Ka­tholische Burschenverein wieder gegründet, das Theaterspiel sorgte für Abwechslung im Dorf.

 

Trotz intensiver Suche der Gemeindearchivarin, Frau Martina Paringer, in den Unterlagen der früheren Gemeinden Massenhausen und Giggenhau­sen sind die dortigen Gemeinderatswahlergebnisse nur unvollständig vor­handen. Auch im Landratsamt Freising gibt es leider keine Unterlagen, das Staatsarchiv München meldet ebenfalls Fehlanzeige. Regionale Zeitungen, in denen man nachschauen könnte, gab es 1946 noch nicht. So bleiben derzeit nur die Niederschriften von verschiedenen Gemeinderatsprotokol­len, die Frau Paringer gefunden hat. Demnach haben in Giggenhausen an der Gemeinderatssitzung vom 31.3.1947 teilgenommen: Georg Nad­ler, 1.Bürgermeister, Michael Nadler (2. Bürgermeister) und als Gemeinderäte Johann Riedl, Josef Köppl, Georg Lachner und Franz Hierhager.

 

Unübersichtlich ist die Situation in Massenhausen. Am 14. April 1946 ha­ben das Gemeinderatsprotoll unterschrieben: Als Bürgermeister Georg Dill, als sein Stellvertreter Josef Modlmayr, als Gemeinderäte Josef Widhopf und (ohne Vornamen) Voburger. In der Sitzung vom 3. Feb­ruar 1947 sind als Gemeinderäte noch genannt: [Alois] Pflügler, Jo­hann Wildgruber, [Lorenz] Baumgartner. In der Sitzung vom 31. Au­gust 1947 auch noch [Josef] Kindl.

 

Ich danke Frau Paringer hier herzlich für die Unterstützung!

 

Die im Januar 1946 gewählten Gemeinderäte amtierten bis zur nächsten Kommunalwahl am 25. April 1948. Georg Böswirth kandidierte wie­der für das Bürgermeisteramt, und überraschend auch der erst Ende März 1948 nach zweieinhalbjähriger Haft entlassene vormalige NS-Bürgermeis­ter Georg Herpich. Das Ergebnis war für Böswirth niederschmetternd: Er erhielt 294 Stimmen, Herpich brachte es dagegen auf 462 Stimmen, also gut ein Drittel mehr. Die Aufregung im Dorf war groß. Martin Bichlmeier und Pfarrer Johann Jungmann, der im Entnazifizierungsverfahren eine für Herpich sehr positive Aussage gemacht hatte, fochten das Wahlergebnis an. Tatsächlich wurde die Bürgermeisterwahl von der Regierung von Oberbayern annulliert. Denn es war ein formaler Fehler passiert: Herpichs Entnazifizierungsbescheid wurde erst am 27. April 1948 rechtskräftig, zwei Tage nach der Wahl! Herpich hatte also noch kein passives Wahlrecht.

 

Für den 13. Juni 1948 wurde eine Wiederholung der Wahl angesetzt. Eine erneute Kandidatur Herpichs war aufgrund einer Anordnung der Regierung nicht möglich. Böswirth verzichtete tief gekränkt auf ein weiteres Antre­ten. Einziger Kandidat für das Bürgermeisteramt war nun der frühere Ge­meinderat Johann Thaler. Er wurde gewählt und übte das Bürgermeis­teramt bis zur Wahl 1952 aus. Ab dieser Wahl war wieder Georg Herpich Bürgermeister in Neufahrn. Nach der Wiederwahl 1956 und 1960 trat er 1964 aus gesundheitlichen Gründen vom Amt zurück. Zu seiner Nachfol­gerin wurde Käthe Winkelmann gewählt. Sie war die erste Frau in Bay­ern auf einem Bürgermeisterstuhl.

 

Ernest Lang

 

***

 

Falls jemand gesicherte Auskunft über die Wahlergebnisse 1946 in Mas­senhausen und Giggenhausen geben kann, wäre ich dafür dankbar!