Die ersten Neufahrner gefunden - Ausgrabungen am ehemaligen Pfarrhof - ein Meilenstein der Ortsgeschichte

Von Ernest Lang

Für ihr Alter schauen sie wirklich noch sehr gut aus: Vier 1.200 Jahre alte, vollständig erhaltene Skelette haben die Archäologen bei Grabungen auf dem Grundstück des ehemaligen Pfarrhofs am Pfarrweg 7 gefunden. Am 11. Januar begannen die Abrissarbeiten am Gebäude, derzeit präsentiert sich das Gelände als öde Kiesfläche. Doch diese Kiesfläche hat es in sich - im wahrsten Wortsinn. Denn hier graben Archäologen jetzt einen Teil des alten Neufahrn aus. Für die Ortsgeschichte Neufahrns sind die Funde spektakuläre Meilensteine.

Sie könnten Reginvviz, Memmo und Nenzilo geheißen haben oder Luipd- rut, Sindperht und Cunduni. Diese Namen finden sich in den Freisinger Kirchenurkunden um 800 im Zusammenhang mit Schenkungen au„Niuuiuara" an die Domkirche. „Niuuiura", das ist das heutige Neufahrn. Die wissenschaftliche Leiterin der Grabungen, Bianca Grün, ordnet die Skelette der Karolinger Zeit zu, also dem Frühmittelalter um 800. Die To- ten waren vermutlich Zeitgenossen von Isanperht, dem ersten urkundlich bekannten Neufahrner. Am 16. Juni 804, hat dieser Isanperht aus Niuuiuara dem Freisinger Bischof Atto ein kleines Gut in Neufahrn ge- schenkt. Die Funde der Archäologen und die alten Aufzeichnungen in den Freisinger Traditiones" ergänzen sich und erhärten die bajuwarische Frühgeschichte von Neufahrn.

 

Es handelt sich bei den Skeletten im ersten Grab um die Leichname einer Frau und von zwei Männern, die nebeneinander auf der Westseite des Grundscks lagen. Ein weiteres vollständig erhaltenes Skelett fand sich in einem anderen Grab etwa 50 Meter südöstlich davon. Nach Auskunft von Grabungsleiter Bernhard Grün handelte es sich bei diesem Skelett um einen Mann.

Die Urkunde von der Schenkung Isanperhts ist das erste schriftliche Zeug- nis über Neufahrn. Freilich belegen Ausgrabungen, dass das Gefild um Neufahrn schon um 800 vor Christus besiedelt war, zwei Römerstraßen kreuzen sich hier, es gibt Siedlungsspuren aus der Kelten- und Römerzeit. Ganz offensichtlich ist unsere Gegend schon seit mehr als 2.500 Jahren durchgehend besiedelt. Frühmittalterliche Siedlungsspuren fanden sich vor Jahren auch am Jahnweg und am Lindenweg.

Natürlich trugen die jetzt gefundenen Toten keine Namensschilder. Nach Auskunft von Bernhard Grün vom Büro für Archäologie Neupert, Kozik und Simm handelt es sich bei den Skeletten im ersten Grab um eine Frau, die

 

bei ihrem Tod zwischen 30 und 50 Jahre alt war. Sie sei entweder krank oder ziemlich zusammengerackert gewesen. Die beiden anderen Toten sind ein jüngerer und ein älterer Mann. Bernhard Grün: Der jüngere Tote muss eine Figur wie ein Bodybildner gehabt haben", dies hätten die ersten anthropologischen Untersuchungen ergeben. Der vierte Leichnam ist ein Mann, der zwischen 30 und 50 Jahre alt war, als er starb. Wie die Untersuchungen ergaben, muss er sehr muskulös gewesen sein. Verletzungen und krankheitsbedingte Verkrümmungen seien beim ersten Augenschein am Skelett nicht zu erkennen gewesen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die vier Toten Christen gewesen. Ihre Bestattung auf dem Rücken liegend mit dem Blick nach Osten weise daraufhin. Josef Maaß hat in seinem Festvortrag zur 1200-Jahrfeier Neufahrns im Jahr 2004 ausgeführt, dass bereits zur Zeit des Freisinger Bischofs Arbeo (764 - 783) ein Kleriker namens Cozolt Besitz in Neufahrn an die Freisinger Domkirche übereignet hat. Wo ein Kleriker war, da muss auch eine Kirche gewesen sein. Da die Kirchen, auch wenn sie zerstört oder abgebrannt waren, in der Regel an der gleichen Stelle wieder aufgebaut wurden, durfte es sich bei den nun gefundenen Siedlungsresten am Pfarrweg, nur ein paar Steinwürfe westlich von der alten Kirche entfernt, um einen Teil des frühmittelalterlichen Dorfes Neufahrn handeln.

Die jetzigen Ausgrabungen brachten Spuren von einem Langhaus und mindestens 12 Grubenhäusern an Tageslicht, auch Brunnen und unzählige Pfostenlöcher wurden sichtbar, als die Humusschicht abgeschoben war.

Die Grubenhäuser sind rechteckig und nur zwischen 1,5 und 2,5 Meter breit und etwa 4 Meter lang. Sie sind alle in Ost-West-Richtung angeordnet, mit der Schmalseite gegen die Windrichtung. In diesen kleinen Häusern konnte die Wärme gut gespeichert werden. Einige Grubenhäuser dienten offenbar als Werkstätten, kleinere Fundscke deuten darauf hin, dass in einem Haus Eisen geschmolzen wurde und in einem anderen ein Webstuhl stand.

Bereits vor zwei Jahren hatte man bei archäologischen Untersuchungen am südwestlich angrenzenden Grundsck am Kornblumenweg drei Gru- benhäuser aus dem Frühmittelalter, einen Brunnen, Eisenschlacke und viele Pfostenlöcher gefunden. Die geringere Siedlungsdichte am von der Kirche weiter entfernten Kornblumenweg könnte darauf hindeuten, dass das mittelalterliche Neufahrn eng um die Kirche besiedelt war. Die Siedlungsspuren am Kornblumenweg waren der Anlass, dass das Landesamt für Denkmalpflege die Suche nach Bodendenkmälern vor der Bebauung des alten Pfarrhof-Areals angeordnet hat. Die Ausgrabungen werden von der Kreisarchäologin Delia Hurka begleitet.

Die Skelette sollten weiter untersucht werden. Wünschenswert nach An- sicht der Archäologen wären DNA-Untersuchungen, um mehr über die Lebensumstände und die Todesursachen der ersten Neufahrner herauszufinden. Mit Hilfe der modernen Medizintechnik ist das möglich. Auch die Frage, ob die Toten miteinander verwandt waren, könnte dabei von Wissenschaftlern der Universität geklärt werden. Dies passiert aber nicht im Rahmen der derzeitigen Untersuchungen. Hierzu müsste ein zusätzlicher Auftrag erfolgen. Die Kosten für diese Untersuchungen kämen auf etw5.000 bis 10.000 Euro. Da wären neben der Gemeinde also auch Sponsoren gefragt. Jetzt hätten wir die einmalige Chance für eine sehr über- schaubare Summe mehr über unsere konkreten Vorfahren herauszufinden.

Unmittelbar nach Abschluss der Grabungen werden demnächst Bagger an- rollen, um die Tiefgarage auszuheben. Bereits jetzt werden parallel zur Arbeit der Archäologen mit großen Baumaschinen Spundwände gesetzt. Bis zum Jahresende soll das Gelände dann mit 28 Wohnungen vollständig be- baut sein. In einem Bericht des Archäologischen Büros werden die Spuren des mittelalterlichen Neufahrn für die Nachwelt festgehalten, sobald die Untersuchungen abgeschlossen und ausgewertet sind. Sobald wieder öffentliche Veranstaltungen möglich sind, wird es in Zusammenarbeit mit der Kreisarchäologin bei uns im Heimat- und Geschichtsverein einen Vor- trag zu den Ausgrabungen geben.

 

Informationsstand: 21. April 2021

 

Nachtrag zu den Grabungen am Pfarrweg 7

 

Jetzt insgesamt sieben Skelette gefunden

 

 

Inzwischen wurde ein weiteres Grab mit drei Skeletten entdeckt und geöffnet Diese Toten sind nicht ganz so gut erhalten wie die ersten vier Skelette in den beiden anderen Gräbern. Es handelt sich dabei nach ersten Untersuchungen vor Ort wahrscheinlich um zwei erwachsene Frauen und einem Mann. Auch sie lagen mit Blickrichtung nach Osten im Grab. Wegen des schlechten Zustands der Knochen war nach Auskunft des Grabungsleiters keine ganz sichere Geschlechtszuordnung bei der Bergung möglich. Im Beckenbereich der Frauen fand sich jeweils eine Gürtelschnalle, der Mann hatte ein Messer in der Hand. Auffällig sei der schlechte Zustand der Karies behafteten Zähne.

 

Aktualisierung vom 21. April 2021